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Ihre Fabriken verursachen Flucht

zwei Interviews mit Rex Osa aus dem Zusammenhang „refugees for refugees“  |

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Aktionstage gegen Rüstungsindustrie

taz: Herr Osa, Sie sind Flüchtling aus Nigeria. Am Wochenende organisieren Sie Aktionstage gegen die deutsche Waffenindustrie. Was hat die mit Ihrer Flucht zu tun?
Rex Osa: Gäbe es in meinem Land nicht so viele Waffen, könnte ich die Politik als Oppositioneller herausfordern. So kann ich das nicht. Die Waffenproduzenten stützen korrupte Regime und damit Ausbeutung und Ausplünderung, das hat in Nigeria eine lange Geschichte. Aktuelle droht Krieg mit Boko Haram. Woher stammen all die Waffen, die die Dschihadisten haben? Nigeria produziert keine. Unsere Botschaft ist: Wer Instrumente der Gewalt produziert oder die Wirtschaft eines Landes ausbeutet, erntet Flüchtlinge. Das werden wir auf unser Front-Transparent schreiben.

Was planen Sie während dieser Aktionstage?

Wir werden vor den Waffenfabriken von Diehl in Überlingen, Movag in Kreuzlingen und ATM in Konstanz Kundgebungen machen. Und dann werden wir in die Städte gehen und auch den Leuten dort sagen, dass ihre Fabriken Flucht verursachen. Uns geht es dabei vor allem um die Bigotterie der sogenannten Flüchtlingshelfer.

Inwiefern?

Uns passt die Richtung der Hilfe nicht, die immer mehr in Mode kommt. Die Fluchtursachen werden nicht thematisiert. Die Leute leisten humanitäre Hilfe, oft ohne darüber nachzudenken, dass sie auch Ursache des Problems sind.

Nicht jeder, der ehrenamtlich im Flüchtlingsheim hilft, arbeitet beim Panzerbauer.

Das ist nicht der Punkt. 80 Prozent der Steuereinnahmen der Stadt Überlingen stammen von Diehl. Gleichzeitig gibt es dort 200 ehrenamtliche HelferInnen. Die wollen wir mit den Rüstungsexportstrukturen konfrontieren. Die meisten kennen das Problem ja durchaus, aber statt etwas dagegen zu tun, wollen sie lieber ein bisschen Flüchtlingen helfen. Sie wollen ausdrücklich unpolitisch sein. Das geht dann so weit, dass ein Mensch von der Caritas Sätze sagt wie: „Unsere Flüchtlinge brauchen ihre Ruhe.“ Nein, brauchen wir nicht. Die Leute sollen lieber dafür sorgen, dass aus ihren Städten nicht so viele Waffen exportiert werden. Wir wollen durch unsere Aktion mit vielen ehrenamtlichen Helfern darüber ins Gespräch kommen.

Die Lage in vielen Flüchtlingsheimen ist desolat. Wollen Sie ernsthaft, dass dort nicht mehr geholfen wird?

Wir wollen, dass die Leute mit uns sprechen und uns bestimmen lassen, was Hilfe für uns bedeutet. Die Friedensbewegung hat eine Kampagne, sie heißt „Der Krieg beginnt am Bodensee“, wegen der extrem hohen Dichte an Rüstungsfirmen dort. Wir finden, dass das ein zutreffender Satz ist und wir erwarten, dass Leute, die Flüchtlingen helfen wollen, sich das klarmachen. Wenn sie das nicht tun, handeln sie paternalistisch. Sie halten uns in der Rolle der Opfer. Wir sitzen im Heim und müssen ihre Hilfe annehmen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Strukturen bekämpfen, wegen derer wir fliehen mussten. Alles andere ist keine Lösung.

Ein Großteil der Flüchtlinge flieht aktuell vor Konflikten, in denen deutsche Waffen wohl keine besondere Rolle spielen, etwa Syrien oder Eritrea.

Deutschland ist unser Referenzpunkt, denn wir sind hier. Und deswegen skandalisieren wir die Dinge hier. Wir wissen, warum wir fliehen mussten, und wir sehen, wie wir behandelt werden. Es geht hier nicht direkt um Syrien, aber sehr wohl stellvertretend um die Gesamtheit der Flüchtlinge.

Die taz-Fragen stellte Christian Jakob

in: taz am 20.08.2015

jungeWelt-Interview: Gitta Düperthal

Unter dem Slogan »Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen« rufen Selbsthilfeorganisationen von Flüchtlingen, deren Unterstützer und Friedensinitiativen von Donnerstag bis Samstag zu Aktionstagen am Bodensee auf – warum ausgerechnet dort?

Der Krieg beginnt am Bodensee. In den idyllischen Städten lautet das Motto, »das Wohl der Allgemeinheit in den Mittelpunkt zu stellen«. Davon kann aber keine Rede sein: Die Bundesstraße 31, welche am Ufer des Bodensees entlangführt, ist Heimat der größten Zusammenballung von Waffenschmieden in Deutschland.

Rüstungsprodukte von dort gehen in alle Welt – nicht selten an beide Seiten eines Konfliktes. Zur Spitzengruppe weltweiter Produzenten, insbesondere von Panzern, Kriegsschiffen, U-Booten und anderem schweren Kriegsgerät, gehören Rheinmetall in Stockach, Diehl in Überlingen, Airbus in Immenstaad, Krauss-Maffei-Wegmann mit seiner Tochterfirma ATM in Konstanz sowie Mowag in Kreuzlingen. Am Donnerstag und Freitag werden wir vor Rüstungsfirmen und ihren Zulieferbetrieben in Konstanz, Kreuzlingen und Überlingen protestieren. Ausgangspunkt wird das Camp auf dem Konstanzer Chérisy-Areal sein, wo Workshops und Vorträge stattfinden.

Weshalb engagieren sich neuerlich Flüchtlinge in dieser Sache?

Deutschland heizt mit Waffenlieferungen und Kampfeinsätzen innerhalb des NATO-Bündnisses die Konflikte an; geht aber zugleich offensiv gegen die selbst mit ausgelösten Fluchtbewegungen vor. Die tatsächliche Ausfuhr deutscher Kriegswaffen verdoppelte sich 2014 im Vergleich zum Jahr davor auf 1,823 Milliarden Euro. Die Bundesregierung genehmigte etwa im Sommer 2011 den Verkauf von 200 »Leopard 2«-Kampfpanzern der Firma Krauss-Maffei-Wegmann an das die Menschenrechte verletzende Regime in Saudi-Arabien. Dies ist nur ein Beispiel, wie deutsche Waffen in Krisenregionen gelangen und gewaltsame Konflikte befeuern.

Flüchtlingsorganisationen haben sich in der Vergangenheit für einen Abschiebestopp eingesetzt, für die Schließung von Lagern, gegen Sondergesetze für Flüchtlinge und den Rassismus der Behörden. Wieso ändern Sie jetzt die Stoßrichtung, um gegen die Fluchtursachen vorzugehen?

Wir haben lange für diese Ziele gekämpft, damit Geflüchtete würdig aufgenommen werden. Nun gibt es in Deutschland eine antirassistische Bewegung; Ehrenamtliche bringen Kleidung, Nahrungsmittel, setzen sich für humanitäre Bedingungen ein. Sie tun sich aber noch schwer damit, wenn wir die Proteste auf die politische Ebene heben und gegen die deutsche Regierung und die hiesige Rüstungsindustrie wenden; sie sehen Probleme oft nur in den Herkunftsländern. Pro Asyl will sich beispielsweise nicht gegen die Fluchtursachen wehren, weil nicht in ihrer Satzung steht, dass sie gegen die Rüstungsindustrie sind. Das hilft uns aber nicht.

Insofern wäre es gut, wenn Menschen, die keine Zeit haben, jetzt an Protesten teilzunehmen, unsere Debatte jeweils bei sich am Ort aufnehmen. Spenden für Flüchtlinge helfen, damit sie anreisen können. So können sie Organisationen wie »The Voice Refugee Forum«, »The Caravan«, »Flüchtlinge für Flüchtlinge«, »Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz« unterstützen. Mit dabei sind unter anderem Organisationen wie: »Keine Waffen vom Bodensee«, Friedensinitiative Konstanz, Die Linke Konstanz, Rote Hilfe Konstanz, Die Falken Konstanz, »Europäisches BürgerInnen Forum«, Grüne Hochschulgruppe Konstanz, Asta Uni Konstanz, ATTAC Bodensee.

Wieso führen jetzt die Flüchtlinge die Debatte, gegen Fluchtursachen anzugehen, obwohl doch die Bedingungen ihrer Unterbringung hierzulande immer schlechter werden?

In der Tat, immer mehr Menschen fürchten, in Deutschland in Containern und Zelten dahinvegetieren zu müssen. Der Hass nimmt zu, Brände werden in Flüchtlingsunterkünften gelegt. Ich selber bin jetzt zehn Jahre hier, werde aber nicht akzeptiert. Wir würden gern in unsere Herkunftsländer zurück, aber es geht nicht: In einigen Ländern herrscht Krieg, in anderen Terror; in meiner Heimat Nigeria bekämpfen islamistische Extremisten wie »Boko Haram« die Zivilbevölkerung – mit Waffen, vielfach aus Deutschland geliefert. Die CDU-SPD-Bundesregierung muss Verantwortung übernehmen, deutschen Konzernen mit ihrer Profitgier Einhalt gebieten; auch mit veränderter Klimapolitik. Die jetzige stellt ebenfalls für viele Menschen ein Fluchtgrund dar. Wir müssen jetzt die Stoßrichtung ändern.@

in: junge Welt am 19.08.2015