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Humans welcome! Everywhere

von Lorenz Glatz

Der Literaturnobelpreisträger José Saramago soll geschrieben haben: „Die Vertreibung aus dem Süden in den Norden ist unausweichlich, sie wird weder von Stacheldraht, noch Mauern oder Deportationen zu verhindern sein. Millionen werden kommen, und Europa wird von den Hungernden eingenommen werden. Sie werden auf der Suche nach dem kommen, was wir ihnen gestohlen haben. Für sie gibt es keinen Weg zurück, denn sie werden von einem Jahrhunderte währenden Hunger getrieben und folgen dem Duft des Essens. Der Hass ist aufgetischt und wir werden Politiker brauchen, die mit dieser Situation umzugehen wissen.“

Die Vorhersage ist auf dem Weg zur Realität. Die Flüchtlingsströme sind durch Sperren und Polizeigewalt nur umzulenken und zu verlangsamen, selbst Schießen wird sie auf die Dauer so viel und wenig aufhalten wie die Aussicht, im Mittelmeer zu ertrinken.

Freilich: Die „Politiker, die mit dieser Situation umzugehen wissen“, sind Politiker und dazu da, die Verhältnisse zu verwalten. Aber „die Verhältnisse, die sind nicht so“, dass sie ein gutes Leben für alle erlauben würden. Die globale Konkurrenz der Märkte ruiniert die Lebensgrundlagen von immer mehr Menschen immer schneller. Die gleichfalls konkurrenzgepeitschte Steigerung der Produktivität macht ArbeiterInnen massenhaft überflüssig, treibt sie ins Elend. Zugleich stoppt sie das Wachstum der Verwertung. Sie macht das Geldwachstum, das Herz der Marktwirtschaft, fiktiv, basierend auf Schulden und Spekulation auf künftige Verwertung, die nicht mehr kommt. Die Weltordnungskriege vermehren die Zahl der failed states nur weiter. Und die von zweihundert Jahren Kapitalismus malträtierte Natur wird stückchenweise für uns Säugetiere unbewohnbar.

Staat, Geld, Kapital und Arbeit sind Grundstrukturen einer Ordnung gefrorener Gewalt. Sie müssen „abgewickelt“ werden, denn sie schmelzen unvermeidlich in den Aggregatzustand flüssiger Gewalt. In dem ist aber nicht zu leben.

Was können Menschen, die in diesen wilden Strom geraten, viel anderes tun, als auf eine gerade noch feste Scholle sich zu flüchten? Auch wenn diese durch die Ankunft des Terrors in Europa und die Antwort darauf auch schon deutlich Risse zeigt. Und was sollten Menschen hier, die sich Gedanken um den Gang der Dinge machen, die bei der Not der anderen nicht einfach zuschauen wollen, anderes tun, als ihnen beizuspringen, sie nicht der Charity, dem Lager, dem Staat und seinem Fremdenrecht, der Wirtschaft und den Rassisten zu überlassen, sondern mit ihnen das globale Gastrecht aller Menschen auf der Erde zu beanspruchen, gestalten und verteidigen zu versuchen?

Die Menschlichkeit des Kapitals orientiert sich an einem erhofften „Wachstumsschub“ durch Millionen Flüchtlinge als arbeitsamem Frischfleisch, durch Lohnsenkung und Sozialabbau. Und die Arbeit sieht in den Asylwerbern bloß Konkurrenten um Arbeitsplätze und noch vorhandene soziale Rechte. Xenophobie grassiert. Diese ausgetretenen Pfade führen zu Selektion nach „Brauchbarkeit“, Verarmung und Verhetzung, Mord und Totschlag. „Der Hass ist aufgetischt“, es können nur wir selber sein, die ihn nicht fressen, sondern vom Tisch fegen.

Unsere Scholle ist das Zentrum der Gewalt, Garant der Ordnung, vor deren Konsequenzen zig Millionen Menschen auf der Flucht sind. Hier sind die Waffenschmieden, die Zentralen der wundersamen Geldvermehrung, der Bauch der Welt, der auffrisst, „was wir ihnen gestohlen haben“, wie es Saramago sagt. Und den Dreck davon von sich weg über die Welt verteilt.

Nichts davon ist haltbar. Der erodierende Rand wird sozial und geographisch immer breiter. Dass jetzt Hunderttausende Menschen, also unsereiner, fliehend die Grenzen Europas überrennen, und dass Terror und Antiterror auch hier im Inneren aufbrechen, macht die Hoffnungslosigkeit der alten Ordnung sichtbar. Dass die aus ihrem Zerbrechen fließende Barbarei eingedämmt und ausgetrocknet werden kann, braucht die Entmachtung gerade auch des Zentrums, das seinen Untergang hinauszögert, indem es die verheerenden Konsequenzen des Abschmelzens der gefrorenen Gewalt dem weiten „Rest der Welt“ aufzubürden sucht. Es geht nicht um den Aggregatzustand der Gewaltordnung, es geht um das Ende der Vergewaltigung von Mensch und Natur. Damit niemand fliehen muss und alle überall willkommen sind. Mit weniger ist ein gutes Leben nicht zu haben.

http://www.streifzuege.org/2015/humans-welcome-everywhere   1.9.15